Gestrandet am Cafè Europa

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Die Armutsmigration aus Südosteuropa stellt Dortmund vor ein gewaltiges finanzielles Problem. Rund 3200 Bulgaren und Rumänen sind aktuell hier gemeldet, ihre Dunkelziffer dürfte ungleich höher liegen. Auch wird aus mehreren Gründen damit gerechnet, dass die Zahl der Migranten in den kommenden Jahren steigen wird. Die schon jetzt aus dem Ruder laufenden Sozialausgaben würden dann drastisch steigen, gemeinsam mit anderen Städten fordert Dortmund Hilfe von Land, Bund und EU. Um überhaupt eine Rechengrundlage für die erwartbaren Kosten zu haben, hat die Stadt die inzwischen veralteten Zahlen des Asylbewerberleistungsgesetzes für die Armutsflüchtlinge angesetzt – man wollte eine ansatzweise Größe haben und setzte diese Zahl an, sie entspricht ungefähr dem Existenzminimum. Bei 3200 Menschen käme man auf gut 33 Millionen Euro im Jahr.

Wenn man will, kann man sie sehen. Die paar Männer auf dem Arbeiterstrich vor dem Café Europa, 10 bis 15 sind es meistens, die älteren suchen Arbeit, die jüngeren dealen. Man kann die Autos sehen, wenn man sie sucht, die mit den rumänischen und bulgarischen Kennzeichen, merkwürdigerweise bevorzugen ihre Halter deutsche Fabrikate mit dunklen Lackierungen. Und wenn man lange sucht, findet man, allen Erfolgsmeldungen zum Trotz, auch heute noch rumänische oder bulgarische Prostituierte.

All diese Menschen fallen in der Nordstadt nicht groß auf, man muss auf sie achten. Eigentlich erstaunlich, wenn man weiß, dass sich ihre Zahl seit 2006 annähernd versechsfacht hat. Damals waren 570 Bulgaren und Rumänen in Dortmund gemeldet. Doch am 1. Januar 2007 wurde alles anders, Rumänien und Bulgarien wurden Mitglieder in der Europäischen Union – das Europaparlament in Straßburg hatte diese Aufnahme 2005 durch seine Zustimmung ermöglicht, der Beitrittsvertrag umfasste mehr als 800 Seiten.

Die Folgen dieser Papiere für Dortmund bemerkten damals als erste die Prostituiertenhilfen in der Stadt: Die Zahl der Rumänen und Bulgaren stieg bereits im Jahr 2007 auf 1600, der damals noch monströs große Straßenstrich war eine Existenzmöglichkeit für Menschen, die in ihrer Heimat de facto nichts und vor allen Dingen keine Zukunft hatten. Die ersten Alarmsignale wurden zunächst kaum registriert, ein erstes Umdenken erfolgte ab 2008, aber da lief die Wanderbewegung schon auf Hochtouren. Aus 1600 Menschen wurden 2500, Stand September 2012 waren 3200 Rumänen und Bulgaren in Dortmund gemeldet. 3200 ist eine Zahl, die nicht der Realität entspricht: Längst nicht alle Rumänen und Bulgaren, die nach Dortmund kommen, melden sich an.

Es gibt ein intelligentes Papier aus dem Sozialdezernat der Stadt, in dem man den größten Teil dieser Dinge nachlesen kann. Es hat den sperrigen Titel „Kommunalisierung der Folgen von Regelungsdefiziten im EU-Erweiterungsprozess“, wahrscheinlich können sich nur Verwaltungen solche Titel ausdenken, aber der Kern des Problems ist in diesen sieben Worten enthalten: Als der EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien auf Regierungsebene beschlossen wurde, wurden ausschließlich die Märkte gesehen, nicht die Menschen, die negativen Folgen dieses Beitritts wurden durchgereicht. Dorthin, wo sich größere Gruppen von Rumänen und Bulgaren ansiedelten. Bei den Gemeinden und Städten, neben Dortmund ist Duisburg betroffen, ansonsten werden Berlin, Hamburg, Hannover, München und Offenbach genannt. In all diesen Städten haben sich größere Gruppen angesiedelt, die in der Regel einen miserablen Bildungsstand und keine Perspektive haben. Menschen, die in ihrer Heimat in bitterster Armut leben und denen ein Aufstieg auf normalem Weg verwehrt ist.

Am vergangenen Freitag saß Oberbürgermeister Ullrich Sierau an einem schmucklosen Tisch der Ordnungspartnerschaft an der Bornstraße. Hier arbeiten im Schichtdienst Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die sich um die Nordstadt kümmern. Zusammen mit dem Ordnungsamtsleiter Ingo Moldenhauer wollte der Oberbürgermeister den hier arbeitenden Menschen danken, sie streifen durch das Viertel, unterbinden so Prostitution und kümmern sich unter anderem um die mittlerweile so genannten Ekelhäuser.

Haus

Häuser, deren Zustand mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens in die EU direkt zusammenhängt: Wohnraum, der auf dem freien Markt wegen seines desolaten Zustandes nicht mehr vermietbar wäre, findet unter den Wirtschaftsflüchtlingen immer noch Abnehmer. Ganze Großfamilien wohnen dort unter prekären Verhältnissen und für vollkommen überzogene Mieten, die meistens bar kassiert werden, in kleinen Wohnungen. Es entstehen neben gesellschaftlichen auch hygienische Probleme. Auch dagegen arbeiten die Männer und Frauen in den dunklen Uniformen.

Wie es sich für einen OB gehört, lobte er die Arbeit seiner Leute: weniger Ekelhäuser, weniger Prostitution, gegen den Drogenhandel müsse und werde man mehr tun, eine Sache aber, die bereitete Sierau Sorgen. Der 1. Januar 2014. An diesem Datum fällt eine Beschränkung die bis dahin noch für Österreich und Deutschland galt: Rumänen und Bulgaren genießen dann auch hier die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Bis dahin dürfen sie in Deutschland nur als Selbstständige arbeiten. Welche Folgen das für die Nordstadt haben wird, ist unklar. Es gibt Menschen, zu ihnen zählt auch der OB, die erwarten dann eine weitere Einwanderungswelle aus Südosteuropa. Und wohin gehen Menschen, die nichts anderes wollen als Armut und Perspektivlosigkeit zu entfliehen? Sie gehen dorthin, wo sie Andockstationen haben, wo schon jemand, den sie kennen, hingegangen ist.

Es gibt andere Menschen, die wollen keine klare Prognose abgeben, was sich ab 2014 ändern wird, zu ihnen gehört Frank Merkel. Er arbeitet bei der Integrationsagentur der Caritas. Er beschäftigt sich mit der Problematik der Armutswanderung seit 2008, sie ist, sagt er, so vielschichtig, dass man sich manchmal schon ohnmächtig fühlen könne. Dann spricht er von den kleinen Schritten und davon, dass das, was die Menschen aus Südosteuropa mitbrächten, eben mehr sei, als man annehme.

Er sagt auch: „Wir müssen die Schattenbereiche hell machen.“ Und meint damit die Dumpinglöhne des Arbeiterstrichs, den Drogenhandel, die Prostitution und die Schwarzarbeit. Bulgaren und Rumänen sind nicht krimineller als andere Nationalitäten auch. „Aber da kommen die Menschen aus existentiellen Notlagen hierher, da ist die Gefahr natürlich größer, in so etwas hineinzurutschen.“

Uta Schütte-Haermeyer vom Diakonischen Werk Dortmund und Lünen denkt, dass sich ab Januar 2014 nicht viel ändern wird. Natürlich hätten Rumänen und Bulgaren dann einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt. Doch auf diesem Arbeitsmarkt gebe es heute bereits zu wenig Stellen, erst recht für schlecht bis gar nicht ausgebildete Menschen. Was also solle sich ändern? Aber ist es nicht überall besser als in prekären Verhältnissen in Bulgarien oder Rumänien?

Jeder, der sich mit der Materie auskennt und den man in Dortmund zu der Thematik befragt, sagt irgendwann, dass das langfristige Ziel sein muss, die Verhältnisse in den Heimatländern zu verbessern. Aber wie sollen es einzelne Städte schaffen, diese Verhältnisse zu verbessern, wenn das schon der EU nicht gelungen ist, obwohl auch diese Forderung in dem über 800 Seiten starken Beitritts-Vertrag enthalten war?

Die Bürger sehen fremde Menschen, die sie unruhig machen, uralte Klischees von „Zigeunern“ machen die Runde, sie wollen, dass ihre Stadt etwas tut. Dabei geht es bei dieser Problematik inzwischen gar nicht mehr vorrangig um Roma, inzwischen kommen Einwanderer aus Südosteuropa aus den unterschiedlichsten Gruppierungen, die Roma waren eine Art Vorhut. Ein Umstand, den man auch daran erkennen kann, dass sich das ehemalige Dortmunder „Roma-Netzwerk“ Ende vergangenen Jahres umbenannt hat. Es heißt jetzt „Netzwerk EU-Armutszuwanderung Dortmund“.

In diesem Netzwerk arbeiten 14 Projekte inzwischen zusammen, um die Wege kürzer zu machen, die Hilfe zu professionalisieren und städtische Lösungsansätze zu finden. Dortmund ist mit diesem Netzwerk den meisten betroffenen Städten schon einen guten Schritt voraus. Es sind kleine Schritte, aber sie werden inzwischen gegangen.

Glaubt man den Beteiligten, könnte dieses Netzwerk so nicht existieren und arbeiten, gäbe es nicht eine entscheidende Person an der Spitze. Mal wird sie „ein Segen“ genannt, mal „ein Geschenk“, die Rede ist von Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Sie ist seit 2011 im Amt, seit dem 17. August 2012 hat sie ein weiteres Aufgabenfeld: Sie leitet beim Deutschen Städtetag eine auf Dortmunder Betreiben hin eingerichtete Arbeitsgruppe zum Thema Armutszuwanderung, gemeinsam wollen die betroffenen Städte den Druck auf Land, Bund und EU erhöhen. Die Angst ist groß, mit kaum abschätzbaren Kosten in Millionenhöhe alleine gelassen zu werden. Während die Geschäfte anderswo gemacht werden: auf den freien Märkten und in der Schattenwirtschaft von Schwarzarbeit, Prostitution und Drogenhandel. Vor dem Café Europa.

 

 

Dieser Artikel erschien am 8. Februar 2013 in der Dortmunder Lokalausgabe der Ruhr Nachrichten.

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